Artenschutz als Orientierungshilfe für eine zeitgemäße Jagd?

Natur- und Artenschutzexpertin MMag. Christine Sonvilla im Interview über reformbedürftige Schwerpunkte

Die Natur befindet sich im stetigen Wandel und damit auch die Beziehungen der Arten zueinander. Mit der Rückkehr der großen Beutegreifer ergeben sich neue Aufgaben (im Herdenschutz), aber auch große Chancen für das Funktionieren von Ökosystemen. Die bekannte Biologin, Fotografin, Filmerin und Autorin MMag. Christine Sonvilla, deren Arbeiten mehrfach international ausgezeichnet wurden, hat mit uns über ihre Anliegen und den Reformbedarf der Jagd gesprochen.

Warum unterstützen Sie das Volksbegehren Für ein Bundes-Jagdgesetz?

Durch die neun Landesjagdgesetze werden sämtliche Jagdangelegenheiten (wann, auf welche Art, wie und wo geschossen werden darf) unterschiedlich gehandhabt. Ein einheitliches Jagdgesetz würde für deutlich mehr Klarheit sorgen und wäre in vielerlei Hinsicht hilfreich. Momentan gibt es nicht für alle jagdbaren Tierarten Schonzeiten. Gerade während der Jungenaufzucht wäre das aber wichtig. Sogar stark gefährdete Tierarten, wie das Rebhuhn, dessen Bestand in Österreich in den letzten Jahrzehnten massiv zurückgegangen ist, dürfen noch immer bejagt werden. In einem Bundesjagdgesetz würde das anders ausschauen. Die Belastung der Umwelt und mögliche Vergiftungen der Tierwelt durch Bleimunition ließen sich ebenfalls besser regeln.

Welche Forderungen des Volksbegehrens sind Ihnen besonders wichtig?

Wenn es um gefährdete Tierarten geht, ist die noch löchrige Strafverfolgung im Falle von Wildtierkriminalität besonders erwähnenswert. Vielerorts gilt sie noch immer als Kavaliersdelikt. Selbst wenn es zu einer Verurteilung und zum Entzug der Jagdkarte kommt, ist es aktuell möglich, einfach in einem anderen Bundesland eine neue Jagdkarte zu lösen. Dieses Schlupfloch würde ein Bundesjagdgesetz schließen, um Wildtierkriminalität, die sich vor allem bei gefährdeten Arten wie Luchsen fatal auswirken kann, effektiver zu ahnden. Wenn überhaupt nur wenige Tiere vorhanden sind, was etwa bei den Luchsen in Österreich der Fall ist, kann bereits der Verlust eines einzelnen Tieres ein Problem für die Erhaltung der Art als Ganzes darstellen.

Luchse, die zur Bestandsstützung gezielt freigelassen und dann gewildert wurden – was etwa in den Kalkalpen wiederholt der Fall war –, sind ein doppelt herber Verlust: Hier wird mit viel Aufwand eine Population aufgebaut / erhalten, was dann durch einzelne illegale Aktionen zunichte gemacht wird. Das kann nicht sein.

Übrigens, genauso wie ein Bundesjagdgesetz wünschenswert ist, so ist es auch mit einem Bundesnaturschutzgesetz, das längst überfällig und notwendig wäre, um gezielter und koordinierter Naturschutzmaßnahmen umzusetzen.

Inwiefern können Ökosysteme und der Mensch von der Anwesenheit großer Beutegreifer profitieren?

Beutegreifer und ihre Beutetiere nehmen aufeinander Einfluss, das führt zu Verhaltensänderungen, die wiederum andere Arten beeinflussen und so Kettenreaktionen im Ökosystem hervorrufen können. In Gegenwart von Beutegreifern wie Wölfen etwa ist das Wild aufmerksamer, fitter und gesünder. Aasfresser wie Geier oder Adler, aber auch andere Vögel und Kleintiere wie Käfer profitieren, denn sie leben von dem, was die Wölfe übriglassen. Zurückbleibende Kadaver liefern aber auch wichtige Nährstoffe für den Boden. Darüber hinaus bekommen Fuchs und Goldschakal mit dem Wolf wieder einen Konkurrenten, was Druck auf ihre Bestände ausüben kann.

Wölfe finden sich in unseren (Kultur)landschaften gut zurecht, sie brauchen per se keine Wildnis. Gleichzeitig setzen sie Prozesse mit weitreichenden ökologischen Auswirkungen in Gang, die dabei helfen, Wildnisnähe wieder aufkommen zu lassen. Das ist letztlich auch gut für uns Menschen, denn unbeeinflusste(re) bzw. wildere Lebensräume sorgen für saubere Luft, klares Wasser und gesunde Böden. Alles Grundvoraussetzungen, damit wir leben und wirtschaften können.

Seit Jahrzehnten setzen Sie sich für den Artenschutz ein. Welche Verbesserungen wünschen Sie sich in der Jagdpraxis?

Der Wolf beispielsweise ist bei uns aktuell ständig (negativ) in den Medien präsent. Durch seine Rückkehr und die anderer großer Beutegreifer wird es schwieriger, konkrete Tiere, wie etwa einen Hirsch als Trophäe für einen bestimmten Jagdgast, zu reservieren und Wildtiere zu lenken. Eine größere Dichte an Beutegreifern macht die Jagd weniger vorhersehbar, weniger planbar. Es wäre wünschenswert, wenn sich Jagdpraktiken innerhalb dieser neuen, veränderten Gegebenheiten weiterentwickeln. Aufgeben, was nicht mehr funktioniert, und neu etablieren, was tragfähig ist! Natürlich ist die Jagd auch ein großer Wirtschaftsfaktor, doch sollten heutzutage Wirtschaftlichkeit und Naturschutz vereinbar sein. Das setzt einen offenen Diskurs voraus, der Beutegreifer per se nicht ausschließt bzw. nicht als per se unnatürlich wahrnimmt.

Wie stellt sich der Zusammenhang zwischen der Jagd, ihrer Wirtschaftlichkeit und dem Naturschutz dar?

Abschüsse von Rot-, Reh oder Gamswild sind weniger leicht umsetzbar in der Gegenwart von großen Raubtieren. Dadurch kann es bei der Jagd zu wirtschaftlichen Einbußen kommen. Die Variante zu sagen: Raubtiere dürfen bei uns nicht sein kann aber im Umkehrschluss nicht die Lösung sein. Fakt ist, es gibt passenden Lebensraum auch in Österreich und Fakt ist auch, Raubtiere gehören zu funktionierenden Ökosystemen, welche auch für uns Menschen überlebenswichtig sind.Es muss also die Möglichkeit geben, hier ein Auskommen zu finden, das sowohl den Naturschutz als auch die Wirtschaftlichkeit berücksichtigt.

Es müssen also Chancen des profitablen Zusammenlebens aufgezeigt werden: Raubtiere können ggf. beobachtet werden, Stichwort Wildtiertourismus, was ein Motor für wirtschaftlich schwächere Regionen sein kann. In vielen anderen Ländern Europas gibt es bereits Möglichkeiten Führungen, Erlebnisse, Foto-, Beobachtungsverstecke zu buchen, die Wildtiersichtungen in Aussicht stellen oder einfach das Wandeln auf den Spuren der Wildtiere inklusive fachkundiger Informationen anbieten. Wildtiererlebnisse in dieser Form bergen großes Potenzial, das in Österreich bisher kaum ausgeschöpft ist.

Darüber hinaus ließen sich auch neue Berufsbilder etablieren. Erfolgreicher Herdenschutz braucht Hirten, Zäune, Pferche und Herdenschutzhunde. Das braucht Anfangsinvestitionen für die Ausbildungen, die etwa vonseiten des Bundes und der Länder zu tragen wären, aber mit der Zeit gäbe es in Österreich ausgebildete Hirten, Züchter von Herdenschutzhunden, Experten für die Umsetzung und Servicierung von Herdenschutzmaßnahmen. Daraus entstünde ein eigener Wirtschaftszweig. Mit funktionierenden Herdenschutzmaßnahmen klappt es auch besser mit der Koexistenz mit großen Raubtieren wie Wölfen. Davon profitieren wieder Wildtierbeobachtungen / Führungen zum Thema Raubtiere etc.

Parallel gilt es klar zu definieren, was ist ein Schadwolf (wenn wir beim Wolf als Beispiel bleiben). Nur weil ein Wolf in der Nähe einer Siedlung zu sehen ist, dort durchläuft, ist das kein Problemtier. Wenn ein Wolf aber mehrere Tage hintereinander vor dem Schultor sitzt, dann ist das sehr wohl ein Problem. Wölfe, die ungeschützte Schafe fressen, sind keine Schadwölfe, sie wurden viel eher dazu eingeladen zuzugreifen. Wölfe, die mit Herdenschutzmaßnahmen geschützte Schafe fressen, sind dagegen anders zu beurteilen. Entsprechend gilt es dann zu handeln. Der Abschuss der Wölfe sollte allerdings nur eine Ausnahme sein, wenn sich keine andere Lösung findet. In der Regel sind Abschüsse nämlich nicht zielführend, weil sie einen negativen Einfluss auf die Rudelstruktur nehmen können und damit letztlich mehr Schaden als effektiven Nutzen anrichten. Unerfahrene Wölfe, die nun auf sich alleine gestellt sind, versuchen sich dann eher wieder an leichter Beute wie Nutztiere, umso eher wenn diese nicht geschützt sind.

Es gibt Möglichkeiten, Wirtschaftlichkeit und Naturschutz zu vereinbaren, allerdings fehlt es vorerst offenbar am Willen diese umzusetzen. Einfacher ist es dagegen, alles beim Alten zu belassen, d.h. Raubtiere kategorisch abzulehnen.

Hat der Wolf in Europa noch Platz?

Unsere aktuelle Lebenswelt in Europa ist in der Tat eine stark kulturlandschaftlich geprägte. Für viele Menschen und viele Jäger:innen hat da kein Wolf mehr Platz. Fakt ist aber, dass wir in Europa ein noch nie dagewesenes Wiedererstarken des Wilden erleben, die großen Beutegreifer kehren auf keinem anderen Kontinent so stark zurück wie bei uns. Abwanderungen in bestimmten Gebieten ermöglichen der wilderen Natur zurückzukommen. Flussverbauungen werden rückgängig gemacht. Es ist etwas im Gange und wir sind in einer Zeit angekommen, in der wir die Chance haben, ein Nebeneinander von Kulturlandschaften und wieder wilder werdenden Landschaften mitsamt ihrem Arteninventar zu forcieren. Das wird aber nur gelingen, wenn alle Akteure, die Jagd eingeschlossen, offen für neue Konzepte des Miteinanders sind. Letztlich ist das nicht ein netter Zeitvertreib, sondern ein Muss, wenn wir die Vielfalt des Lebens mit all ihren Ökosystemleistungen für uns und zukünftige Generationen erhalten wollen.

Sie haben sich intensiv mit der Wildkatze beschäftigt. Darf diese auch bejagt werden?

Nein, die Europäische Wildkatze (Felis silvestris) wird „ganzjährig geschont“. Sie rangiert europaweit unter den streng zu schützenden Arten und ist u.a. im Anhang IV der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie angeführt. Sämtliche Landesjagdverbände engagieren sich darüber hinaus für den Schutz der Wildkatze im Rahmen der Plattform Wildkatze. In vergangenen Jahrhunderten war das noch anders. Damals wurde die Wildkatze mit allen erdenklichen Methoden bejagt und galt als eines der schädlichsten Raubtiere. Heute weiß man, dass diese Vorstellungen maßlos überzogen waren. Viele Jäger:innen erfreuen sich heutzutage an der Art, finden sie interessant oder stehen ihr zumindest neutral gegenüber.

Wie stellt sich die Problematik der Verwechslung zwischen Hauskatze und Wildkatze dar?

Die Europäische Wildkatze darf nicht bejagt werden, streunende Hauskatzen allerdings schon. Das lassen gegenwärtig alle neun Landesjagdgesetze zu, wenn auch mit voneinander abweichenden Regelungen. Den Jäger:innen gehe es dabei um den Schutz des freilebenden Wildes, für das Hauskatzen angeblich eine Gefahr darstellen. Inwiefern das zutrifft, darüber lässt sich freilich diskutieren. Die Krux an der Sache ist aber, dass eine getigerte Hauskatze einer Europäischen Wildkatze mitunter zum Verwechseln ähnlich sieht; insbesondere im Dämmerlicht wird eine treffsichere Unterscheidung praktisch unmöglich.

Mit welchen von der Jagd ausgehenden Gefahren sind Wildkatzen konfrontiert?

Da die Jägerschaft den Wildkatzenschutz in Österreich mitträgt, wird Jäger:innen mit einem Vorkommen von Wildkatzen in ihrem Revier ans Herz gelegt, nicht von der Befugnis der Tötung von Haustieren Gebrauch zu machen. Fraglich ist, ob die Empfehlung allein ausreicht. Wo die Wildkatze, die aktuell in Österreich in Ausbreitung begriffen ist, als nächstes auftaucht, lässt sich nur ungefähr vorhersagen. Versehentliche Abschüsse könnten der Ausbreitungstendenz einen gravierenden Dämpfer verpassen.

Vielen Dank für das Interview!