Interview – Peter Wohlleben
Peter Wohlleben, Autor, Naturschützer und Förster, im Interview mit Dr. Rudolf Winkelmayer, Initiator des Volksbegehrens „Für ein Bundes-Jagdgesetz“. Diskutiert werden Wildtierfütterungen, die Bejagung von Füchsen, die Ansprüche an die Jagd- und Forstwirtschaft in Zeiten der Klima- und Biodiversitätskrise und die Zukunft der Jagd.
Rudolf Winkelmayer: In einigen Bundesländern sehen die Jagdgesetze (verpflichtende) Rot- und Rehwildfütterungen vor. Wenn Wildtiere ähnlich wie landwirtschaftlich genutzte Tiere gefüttert werden, bringt das eine Vielzahl an Problemen mit sich. Wie kann ein schrittweises Beenden der Wildtierfütterung gelingen? Bei welchen Vorteilen?
Peter Wohlleben: Man kann die Frage auch anders aufziehen. Warum füttern wir eigentlich nicht Marder, Wiesel, Igel und Eichhörnchen? Hier geht es um Jagd. Die Geschichte klingt ganz schön: Wir kümmern uns um Tiere, die sonst verhungern. Leute füttern ja auch Vögel im Garten. Der Unterschied ist: Leute, die Vögel im Garten füttern, schießen sie nicht ab. Es geht um eine Haustierhaltung zu Jagdzwecken, die das Verhalten der Tiere ändert! Wildtiere in Europa würden zum Beispiel viel weiter ziehen, nur wir lassen sie nicht.
Wildtierfütterung macht überhaupt keinen Sinn, weil der Winter die Populationen (vor Überlastung) regelt. Wenn wir den Gesamtbestand des Schalenwildes über den Winter füttern und die Tiere dann im Sommer erschießen, hat das nichts mit Tierliebe zu tun. Es ist grausam, wenn Tiere verhungern, aber wenn Wiesel verhungern, weint auch niemand. Viel grausamer ist der Tod durch die Jagd, wie die Hetzjagd. Das Märchen vom sauberen, schnellen Tod existiert für viele Tiere nicht. Viele werden schwer verwundet, schleppen sich schwerverletzt, mit Schmerzen über Tage durch die Gegend. Fütterung hat einen Hintergedanken: und der ist nicht tierlieb!
Rudolf Winkelmayer: Wie stellt sich die Tierqual am Beispiel der Bejagung des Fuchses dar?
Peter Wohlleben: Fuchsbejagung bringt gar nichts! Man betreibt dadurch auch keinen Artenschutz! Versuche den Fuchs auszurotten (Fuchsbauvergasungen, Abschuss) haben lokal zu höherer Reproduktion geführt. Der Fuchs ist der Sündenbock für eine intensiv genutzte, nicht intakte Agrarlandschaft, die Insekten und Vögel ausrottet. Fuchsjagd ist ein Stellvertreterkrieg. In Wirklichkeit haben wir den Schaden (z.B. selten vorkommende Vögel) verursacht. In Bayern werden immer noch Eichelhäher geschossen, obwohl sie auch wegen der Waldentwicklung endlich verschont werden sollten. Im Tiefen geht es um die Schießlust.
Jagd macht grundsätzlich keinen Sinn! Früher dachte ich noch, dass Rehe und Hirsche den Wald schädigen, aber das kommt vom gestörten Grundökosystem. Wenn man Wälder auflichtet, wachsen sehr viele Krautpflanzen und damit Nahrung für Pflanzenfresser, deren Population wächst. Durch Lichtmangel am Boden würde ursprünglicher Wald selbst gegensteuern. Wir stören ein Ökosystem durch Forstwirtschaft und wollen durch das Töten einer weiteren Art „reparieren“. Die Ursache liegt aber in unserer Bewirtschaftung! Wir stören das Ökosystem. Es geht darum, dass sich eine sehr kleine Bevölkerungsminderheit ein sehr fragwürdiges Hobby leisten möchte, und das muss im 21. Jahrhundert ein Ende haben.
Rudolf Winkelmayer: Welche Herausforderungen stellt die Klimakrise an die Jagd- und Forstwirtschaft und welche Handlungsänderungen erfordert dies?
Peter Wohlleben: Es wird Zeit, dass sich diese Zweige gesamtgesellschaftlich unterordnen. Unsere Hauptprobleme sind Artensterben, Klima- und Biodiversitätskrise! Das ist eine Überlebenskrise vor allem für uns! Würden wir auf uns achten, würden wir sofortige Änderungen herbeiführen. Das Problem der Jagd ist, dass sie flächenwirksame Auswirkungen hat – bei Folgen, die wir gar nicht abschätzen können. Schäden, die in der Forstwirtschaft beklagt werden, sind auch durch Verhaltensänderungen der Wildtiere durch die Jagd begründet. Tiere wollen sich im Wald vor dem Menschen verstecken, also genau dort, wo man sie nicht haben will. Durch den Jagddruck wird das Problem der Waldschäden damit verschärft. Die Klima- und Umweltkrise ist eine Krise des mangelnden Respekts und der mangelnden Empathie. Überall auf der Welt spielen wir Moralapostel – beispielsweise, wenn die botswanische Regierung Elefanten abschießen will. Zeitgleich werden aber bei uns in Mitteleuropa jährlich Millionen Rehe, Hirsche, Gämsen, Wildschweine, Füchse und Wildschweine erschossen und wir erklären das mit ökologischen Notwendigkeiten. Es ist ein Gebot der Ehrlichkeit, der Empathie, des Selbstschutzes, dass wir endlich aufhören, jeden Quadratzentimeter umzudrehen, jede Kreatur umzubringen, bei der das halbwegs erlaubt ist. Das ist ein Spiegel für unsere Gesellschaft. In diesen Spiegel möchte ich ehrlich gesagt nicht länger schauen.
Rudolf Winkelmayer: Wie kann sich die Jagdpraxis in 10 Jahren darstellen? Wie wünschst du sie dir und was ist realistisch?
Peter Wohlleben: Ich würde die Jagd zu 95% abschaffen und 5% in die Hand von Berufsjäger:innen geben, die nur dann eingreifen, wenn wirklich Regelbedarf herrscht. Ich bin aber kein Hellseher: Wenn wir in einer Kulturlandschaft gar nicht mehr jagen, in der wir die Tiere dazu gebracht haben, in besonders hohen Populationen aufzutreten (z.B. durch Fütterung und Waldauflichtung), dann weiß ich nicht, in welche Richtung sich das Ökosystem entwickelt.
Amtliche Statistiken zeigen, dass der Wald aktuell trotz ständig intensivierter Bejagung weiter abgefressen wird. Man versucht seit 100 Jahren Wildbestände zu reduzieren, aber es klappt nicht. Dort hingegen, wo Forstwirtschaft reduziert wird, etwa indem man abgestorbene Fichten stehen lässt, klappt die Wiederbewaldung häufig ohne jede Bepflanzung oder scharfe Bejagung, wie man etwa im Nationalpark Unteres Odertal sehen kann.
Mein Wunsch wäre, die Jagd großflächig, bis auf wenige Ausnahmefälle, abzuschaffen. Eine Welt, in der Säugetiere nicht mehr aus Angst fliehen, wäre doch auch für alle naturliebenden Menschen ein Riesengewinn!
Aber ich glaube auch, dass dieser Wunsch unrealistisch ist. Selbst wenn wir auf die Bremse steigen, wird es in den nächsten Jahren in Bezug auf Klima und Biodiversität noch schlechter werden. Wenn die Krisen sich weiter zuspitzen, wird die Menschheit aber vielleicht auch deutlich schneller handeln, und das muss grundsätzlich mehr Respekt vor der Natur einschließen. Egal ob für eine Spinne, eine Fliege oder den Wolf. Ich kenne keinen Unterschied in der Wertigkeit des Lebens. Wenn wir insgesamt als Gesellschaft nicht mehr Respekt und Empathie bekommen – das sieht man auch im Umgang untereinander – dann sehe ich auch schwarz. Die Fakten liegen auf dem Tisch, die allermeisten Lösungen liegen auch auf dem Tisch. Man könnte vieles sehr schnell umsetzen. Wir werden die Kurve vielleicht irgendwie kriegen, wenn auch auf einem deutlich schlechteren Level, aber das kann Jagd nicht mehr beinhalten.
Vielen Dank für das Interview!